Die treuen Brüder


Zur Zeit der Ernte kamen zwei rüstige Jünglinge aus dem Gebirg herab in das ebene Land, wo es an Arbeitern fehlte und sagten zu einem Bauern: „Wir beide wollen euch die ganze Erntezeit hindurch helfen, euer Getreide hereinzubringen, wenn ihr uns die Kost und zehn Taler Lohn gebt!“

„Zehn Taler ist zu viel,“ sagte der Bauer; „ich meine, zehn Gulden wären mehr als genug.“ „Nein,“ sagten die Jünglinge, „es müssen gerade zehn Taler sein, mit weniger ist uns nicht geholfen. Wollt ihr uns nicht so viel geben, so bieten wir unsere Dienste einem andern an.“

„Wozu habt ihr denn so viel Geld notwendig?“ fragte der Bauer. „Seht,“ sagten sie, „wir haben zu Hause einen jüngeren Bruder, der bereits vierzehn Jahre alt ist. Ein geschickter Wagner will ihn in die Lehre nehmen, verlangt aber durchaus zehn Taler Lehrgeld. So viel Geld aber weiß unser alter Vater nicht aufzubringen. Da haben wir zwei ältere Brüder uns denn verabredet, dieses Geld zu verdienen.“

„Nun wohl,“ sagte der Bauer, „wegen eurer brüderlichen Liebe will ich euch zehn Taler geben, wenn ihr so fleißig arbeitet, daß ich damit zufrieden sein kann.“

Die beiden Brüder arbeiteten an den heißen Erntetagen unermüdet im Schweiße ihres Angesichtes; sie waren morgens am frühesten auf und legten sich abends am spätesten zur Ruhe.

Als die Ernte glücklich eingebracht war, bezahlte der Bauer ihnen die zehn Taler und sprach: „Ihr habt euern Lohn redlich verdient und da gebe ich jedem von euch noch einen Taler darüber.“

Wenn Geschwister einig leben,
treulich sich zu helfen streben —
kann es etwas Schönr’es geben?

Christoph von Schmid (1837-1854, Wikipedia)

Bildquelle: eigenes Bild

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